Der Anti-Missionar gibt an, der Begriff der Dreieinigkeit sei eine heidnische Vorstellung. Aber die Rabbinen haben zwei Sichtweisen hinsichtlich der Dreieinigkeit. Eine davon hat der Anti-Missionar präsentiert. Doch nicht die gesamte jüdische Gemeinschaft teilt diese Ansicht. Zum Beispiel fragt Rabbiner Alfred J. Kolatch in seinem Buch The Second Jewish Book of Why: „Warum hält das jüdische Gesetz den christlichen Glauben an die Dreieinigkeit nicht für götzendienerisch?“ Dann führt er aus, daß es im Judentum zwei Sichtweisen auf die Dreieinigkeit gibt. Die eine ist die Ansicht des Maimonides, der sich der Anti-Missionar anschließt, wonach die Dreieinigkeit eine götzendienerische Vorstellung ist. Doch gibt es noch eine zweite Sichtweise:
Gelehrte wie der in Frankreich geborene Rabbenu Tam (1100 – 1171), der Enkel Raschis, der sein Leben im christlichen Europa verbrachte, akzeptierten die Ansicht der christlichen Theologen, wonach die Dreieinigkeit mit der Vorstellung von einem einzigen Gott zu vereinbaren ist. Für diese Theologen sind die drei Persönlichkeiten Teile des einen Gottes; sie sind keine individuellen Götter. Ebenso sind die Speichen eines Rades für sich keine Räder, sondern ganz und gar Komponenten des eigentlichen Rades, mit dem sie zusammengehören. So sind auch die drei Persönlichkeiten nicht einzelne Götter, sondern aus ihnen zusammen besteht der eine Gott.[1]
Unter einer anderen Frage finden wir bei Rabbiner Kolatch folgende Bemerkung:
Die Ansicht des Maimonides (daß die Dreieinigkeit götzendienerisch ist) erscheint nicht in unseren Ausgaben der Mischneh Torah und wurde vom normativen Judentum nie akzeptiert. Seit Rabbenu Tam, einem Zeitgenossen des Maimonides, haben fast alle Autoritäten darin übereingestimmt, daß Christen trotz ihres Glaubens an eine Dreieinigkeit Monotheisten sind. Rabbenu Tam schreibt in seinem Kommentar, daß trotz äußeren Anscheins die Christen in Wirklichkeit an einen einzigen Gott glauben, wie auch die Juden.[2]
In der Fußnote zu obiger Bemerkung steht dies:
Bechorot 2b. Diese Meinung war vorherrschend über die Jahrhunderte. Der große, deutsche rabbinische Gelehrte Jakob Israel Emden (1697 – 1776) drückte die Haltung der meisten Gelehrten aus, wenn er schrieb, daß man die Christen nicht als Götzendiener ansehen kann, und daß die Pflicht jedes Juden sei, Christen in der Stunde ihrer Not behilflich zu sein, so wie es die Weisen im Talmud gelehrt haben (Gittin 61a).[3]
Diese Position findet ihren Widerhall im National Jewish Scholars Project. Dort gab man ein Dokument heraus mit dem Titel A Jewish Statement on Christians and Christianity (Eine jüdische Erklärung zu Christen und Christentum). In diesem Dokument finden wir diese Bewertung:
Juden und Christen beten denselben Gott an. Ehe das Christentum emporkam, waren die Juden die einzigen Verehrer des Gottes Israels. Aber auch die Christen verehren den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, den Schöpfer von Himmel und Erde. Während der christliche Gottesdienst keine mögliche Wahl für Juden darstellt (bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß HaDavar mit dieser Aussage nicht einverstanden ist), so freuen wir uns als jüdische Theologen doch darüber, daß Hunderte von Millionen Menschen in eine Gemeinschaft mit dem Gott Israels gekommen sind.[4]
Die vorstehende Erklärung ist voller Folgerungen, von denen eine das Wesen Gottes betrifft. Wenn wir uns mit demselben Gott beschäftigen, wie ist Er dann? Eine andere Folgerung der Erklärung berührt den Gedanken von Götzendienst und Polytheismus. Wenn wir es mit demselben Gott zu tun haben, dann haben wir es nicht mit Heidentum zu tun. Die Dreieinigkeit ist keine heidnische Vorstellung.
Im Gegenteil, es gibt solide Beweise in der jüdischen Gemeinde dafür. Der Begriff der Dreieinigkeit wird nicht rundheraus abgelehnt, und wir müssen sehen, was die Bibel dazu zu sagen hat, und zwar so neutral wie möglich. Wir glauben, daß die Vorstellung von einer Dreieinigkeit aus der Bibel zu rechtfertigen ist.
Bevor wir in den Text der Bibel einsteigen, nun noch eine abschließende Bemerkung zu dem Verhältnis zwischen Heidentum und der Dreieinigkeit. Die Dreieinigkeit ist eine biblische Wahrheit, die von Leuten verdreht wurde, die weder Zugang zur göttlichen Offenbarung noch Interesse daran haben. In dieser Welt ist die Bibel die einzige Quelle einer genauen Offenbarung über Gott. Als aber die Menschheit über die ganze Erde zerstreut wurde (1.Mose 11,8), wurde das Wissen über Gott verdreht und vergessen. Die Offenbarung wurde schließlich der Fürsorge und Obhut des jüdischen Volkes anvertraut (1.Mose 12; Römer 3,2), wo sie seitdem sicher verwahrt blieb.
Die Brith Chadaschah (Neues Testament) sagt es so:
Zwar hat er in den vergangenen Zeiten alle Heiden ihre eigenen Wege gehen lassen; und doch hat er sich selbst nicht unbezeugt gelassen (Apostelgeschichte 14,16/17).[5]
In Apostelgeschichte 14 spricht Rabbi Schaul, der Apostel Paulus, zu einer heidnischen Volksmenge in der Stadt Lystra in Kleinasien. Seine Worte weisen darauf hin, daß die Völker von der Erkenntnis der Wahrheit abwichen, als sie auf ihren eigenen Wegen gingen. Die Wahrheit entartete zu einer Teilwahrheit, und diese verfiel zur Unwahrheit. Das richtige Verständnis von dem wahren und lebendigen Gott entartete zu Polytheismus und Götzendienst. Der Polytheismus ist lediglich eine furchtbar verdrehte und kaum noch wiederzuerkennende Perversion der biblischen Wahrheit.
Alle Menschen wußten einst, daß der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs eine komplexe oder zusammengesetzte Einheit darstellte. Die Bibel, die von uns, dem jüdischen Volk, treu durch die Jahrtausende hindurch bewahrt wurde, enthält die wahre und genaue Offenbarung über Gott, Sein Programm für die Menschheit und den Messias. Ihre Angaben sollten wir objektiv und vollständig prüfen.
Noch ein anderes biblisches Prinzip sollten wir im Sinn behalten, nämlich daß Gottes Offenbarung „progressiv“ ist. Wir lernen immer mehr über Gott und Seinen Plan für das Volk der Juden und die übrige Menschheit, indem Gott die Geschichte und Seine Offenbarung an uns entfaltet. Zum Beispiel: Niemand, der vor Jesaja lebte, konnte wissen, daß der Messias als Sündopfer sterben sollte. Das wußte niemand, bis diese Wahrheit in Jesaja 53,10 offenbart wurde. Ich sage das, damit wir erkennen, daß auch die komplexe, unteilbare Einheit Gottes nicht eindeutig im Tanach (Altes Testament) enthüllt wird. Aber sie ist voll enthüllt im Neuen Testament. Die Offenbarung in der Brith Chadaschah widerspricht nicht dem, was im Tanach offenbart wird. Wäre sie widersprüchlich, so würden wir das nicht akzeptieren. Aus diesem Grund akzeptieren wir keine anderen Heilsansprüche wie im Mormonismus, Islam, Buddhismus, Hinduismus usw. Deren Schriften enthalten Material, das dem Tanach widerspricht. Der Begriff der Dreieinigkeit läßt sich vom Tanach her auf mehreren Beweislinien verteidigen. In den folgenden Ausführungen wollen wir nun einige davon erläutern.