Vorwurf der Anti-Missionare:
In Matthäus 22,43 fragt Jesus die Pharisäer:
„Wie kann ihn dann David durch den Geist Herr nennen, wenn er sagt: »Der Herr sprach zu meinem Herrn …«?“
In Vers 45-46 fährt Er fort:
„Wenn nun David ihn Herr nennt, wie ist er dann sein Sohn? Und niemand konnte Ihm ein Wort antworten.“
Das Neue Testament nennt dann Psalm 110,1, um diese Behauptung zu begründen.
Die Streitfrage ist hier die Aussage „Der HERR sprach zu meinem Herrn“. In vielen englischen, neutestamentlichen Übersetzungen wird hier das Wort „Herr“ (Lord) beidemal mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben, womit der HERR (J-H) gemeint ist. Die richtige Übersetzung aus dem Hebräischen ist jedoch „mein Meister“ oder „mein Herr“ in normalen Buchstaben: „Der HERR Gott sprach zu meinem Meister …“. Das hebräische Wort adoni bezieht sich niemals auf Gott selbst an irgendeiner Stelle in der Bibel. Es wird nur verwendet, um eine Person oder den Titel einer Person zu beschreiben, nicht aber eine Gottheit. Im hebräischen Wörterbuch wird adoni als Herr oder mein Meister definiert.
Auch moderne englische Bibelübersetzungen geben adoni in Psalm 110,1 korrekt mit „mein Herr“ (in normaler Schrift) wieder und bringen damit zum Ausdruck, daß hier nicht von Gott gesprochen wird. Die jüdische Bibel sagt „Der Herr sprach zu meinem Herrn …“ und meint damit „zu meinem Meister“.
HaDavars Antwort:
Die Frage in Matthäus 22,41-46 ist: Wenn David den Messias Herr nannte, wie konnte der Messias dann Davids Sohn sein? David, der Ahnherr der davidischen Dynastie, sollte allen anderen Nachkommen übergeordnet sein. Wenn der Messias nur menschlich wäre (weil er ein Nachkomme Davids ist), dann würde er sich also mit Rücksicht auf David unterordnen.
Aber in Psalm 110 sehen wir, daß David sich der messianischen Person unterordnet. Warum? Wenn wir den Psalm 110 lesen, so ist es sehr wichtig, daß wir genau wissen, wer da zu wem redet. Im Hebräischen ist das kristallklar. Wir wollen versuchen, eine Verwirrung in unserer Sprache zu vermeiden, und werden den persönlichen Namen Gottes, das Tetragramm, als J-H wiedergeben, wobei J für den hebräischen Buchstaben Jod und H für das hebräische He steht.
Psalm 110 beginnt damit, daß David uns über ein Gespräch berichtet. Er ist Zuhörer bei einem Gespräch zwischen J-H und der messianischen Person. David wiederholt nun das Gespräch zwischen diesen beiden, das er mit angehört hat. Er sagt in Vers 1: „Ein Ausspruch, J-H zu meinem Herrn: Setze dich …“. David nannte eben die messianische Person seinen Herrn, seinen Meister. Der Anti-Missionar hat ganz recht bei seiner Übersetzung des Verses. Jetzt müssen wir nachweisen, daß Psalm 110 messianisch ist.
Hier bieten wir einige Rückblicke in den jüdischen Hintergrund, die diese Position bekräftigen sollen.
- Midrasch Rabba zu 1.Mose 18,1
- Midrasch Rabba, Genesis LXXXV,9
- Midrasch Rabba, Numeri XVIII, 23
- Artscroll Tenach Commentary Tehillim (Psalter)
In der Zukunft wir Gott den Messias zu Seiner rechten Hand sitzen lassen, wie geschrieben steht (Psalm 110,1): „der HERR sprach zu meinem Herrn: »Setze dich zu meiner Rechten …«“[1]
… UND DEIN ZEPTER betrifft den königlichen Messias wie in dem Vers „Der HERR wird das Zepter deiner Macht ausstrecken aus Zion“ (Psalm 110,2).
… Dasselbe Zepter ist dazu bestimmt, in der Hand des Königs Messias gehalten zu werden (möge das schnell geschehen in unseren Tagen!), wie gesagt wird: „Der HERR wird das Zepter deiner Macht ausstrecken aus Zion. Herrsche mitten unter deinen Feinden!“ (Psalm 110,2).[2]
Sforno sagt, daß dieser Psalm dem zukünftigen König Messias gewidmet ist. Er ist zur rechten Hand Gottes, und die dienenden Engel sind zu Seiner linken Hand. Die Heere von Gog und Magog werden angreifen, aber HaSchem wird sie unterwerfen, und sie kommen kriechend vor die Füße des Messias.
Was den Stab oder das Zepter von Vers 2 angeht, so versteht das der Midrasch Jelamdenu als einen Hinweis auf den hölzernen Stab, der zu vielen wundersamen Ereignissen im Laufe der jüdischen Geschichte gehörte. Dieser Stab wurde zuerst von Jakob benutzt, als er über den Jordan ging (1.Mose 32,11). Mose und Aaron verwendeten denselben Stab, um in Ägypten vor den Augen Pharaos Wunder zu tun (2.Mose 4,3; 7,10). David hielt ihn in der Hand, als er in den Kampf mit Goliath zog (1.Samuel 17,40). Er diente als Zepter in den Händen jedes Königs der davidischen Dynastie, bis der Tempel zerstört wurde. Dann war der Stab verschwunden. In der Zukunft wird er dem Messias enthüllt werden, und dieser wird ihn gebrauchen, um alle Nationen der Welt zu besiegen.
Bezüglich Vers 3 wird der Messias die Massen inspirieren, Seine Sache zu unterstützen.
Zu Vers 5 sagt Jalkut Schimoni: „In der Zukunft wird Gott den Messias zu Seiner rechten Hand setzen und Abraham zu Seiner linken.“
Zu Vers 7: Nach dem Targum beschreibt dieser Vers den endgültigen Sieg, den alle Menschen des Glaubens herbeisehnen, denn Abraham, David und der Messias streben nicht nach Blut, sondern nach Wahrheit.
- Alfred Edersheim (Life and Times of Jesus the Messiah, Appendix 9)
Vers 7 wird auch in Jalkut auf die messianische Zeit gedeutet, wenn Ströme vom Blut der Bösen fließen und die Vögel kommen, um es zu trinken.
Der offensichtliche Schluß daraus ist, daß Davids Herr die messianische Person ist. Warum sollte er sich dem Messias unterordnen? Ein Grund dafür besteht nach dem Zusammenhang darin, daß er den Messias zur rechten Hand Gottes sieht. Die rechte Hand war der Platz für Ehre und Gleichheit. Das deutet an, daß der Messias mehr als nur ein Mensch ist. Er ist ein Gott-Mensch. Ob der Anti-Missionar diesen Gedanken nun akzeptiert oder nicht, er muß zugeben, daß David den Messias zumindest als über ihm stehend ansieht.
Doch die Frage bleibt bestehen: Versuchen die Übersetzungen in das Neue Testament etwas hineinzulegen, was einfach nicht da steht? In den englischen Bibeln ist dafür die Schreibweise des Wortes „Lord“ (Herr) maßgebend, das entweder mit großem oder mit kleinem L geschrieben wird. Die Regel, die den Anti-Missionar in diesem Zusammenhang beschäftigt, wird sorgfältig in dem Vor- oder Nachwort der betreffenden Übersetzungen erläutert. Zum Beispiel:
- New American Standard Bible (NASB)
Der eigentliche Name Gottes im Alten Testament: In der Heiligen Schrift ist der Name Gottes äußerst bedeutsam, und das verstehen wir. Es ist unvorstellbar, an geistliche Dinge zu denken, ohne eine geeignete Bestimmung der höchsten Gottheit. Dem entsprechend ist der am häufigsten gebrauchte Name für die Gottheit das Wort „Gott“, die Übersetzung des originalen Wortes Elohim. Einer der Titel für Gott ist „Herr“, eine Übersetzung von Adonai. Es gibt noch einen weiteren Namen, der in besonderer Weise Gott zugeschrieben wird als Sein besonderer oder eigentlicher Name, das sind die vier Buchstaben JHWH (2.Mose 3,14 und Jesaja 42,8). Dieser Name wurde von den Juden nicht ausgesprochen aus Ehrfurcht vor der Heiligkeit des göttlichen Namens. Darum wird dieser Name beständig über setzt mit LORD (in deutschen Bibeln mit HERR, oder HERR) . Die einzige Ausnahme zu dieser Übersetzung von JHWH gibt es dann, wenn es in unmittelbarer Nähe zu dem Wort „Herr“ (Adonai) steht. In diesem Fall wird es regelmäßig mit GOTT übersetzt, um Unklarheit zu vermeiden.
Die NASB macht dem Leser sehr deutlich, daß der Name Gottes mit Großbuchstaben geschrieben wird, während das Wort Adonai als „Lord“ (Herr) nur mit großem Anfangsbuchstaben wiedergegeben wird. So ist es üblicherweise auch in den deutschen Bibelübersetzungen. Die Regel ist damit erklärt, und wir erfahren auch, warum sie so ist, nämlich aus Respekt vor dem jüdischen Volk. Man versucht damit, die jüdischen, religiösen Überzeugungen zu berücksichtigen und zu achten.
- New International Version (NIV)
Hinsichtlich des göttlichen Namens JHWH, allgemein bezeichnet als das Tetragramm, übernahmen die Übersetzer die Methode der meisten anderen Übersetzungen und schrieben den Namen „LORD“ (HERR) in Großbuchstaben, um ihn damit von dem anderen, hebräischen Wort Adonai für „Lord“ (Herr) zu unterscheiden, das nur mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben wird.
Also auch die NIV erklärt die Regel für den Leser. Man will niemanden damit betrügen. Dieser Gepflogenheit folgen alle Standard-Übersetzungen. Als Beispiel mögen folgende englischen Bibeln dienen, die den Psalm 110,1 entsprechend übersetzen: NASB, NIV, RSV (Revised Standard Version), ASV (American Standard Version), KJV (King James Version) und NKJV (New King James Version).
Alle diese Standard-Bibeln – und auch die deutschen Bibelausgaben – machen diesen Unterschied zwischen J-H und Adoni. Da im Vor- oder Nachwort erklärt wird, nach welchen Regeln die Übersetzung vorgenommen wurde, kann hier von einer Täuschung keine Rede sein. Eine sorgfältige Überprüfung, welche Standard-Übersetzung verwendet wird, ist jedoch in Ordnung.
Niemand pfuscht an dem Bibeltext herum. Man folgt lediglich einer Konvention, die von Anfang an in der jüdischen Gemeinschaft galt. So wird es aus Respekt für die jüdische Gemeinschaft auch fortgesetzt. Der Einwand des Anti-Missionars ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie man sich über Kleinigkeiten herumstreitet, und er ist gegenstandslos.