Der Vorwurf der Anti-Missionare:
Jesaja 9,5 lautet nach dem hebräischen Text:
„Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt … ‚mächtiger Gott‘ (Luther: Gott-Held).“
Diese Stelle bezieht sich auf den König Hiskia, den Sohn von Ahas. Manche Übersetzungen haben hier die Zeit von der Gegenwart in die Zukunft geändert, so daß dann da steht „und er wird heißen …“
Der hebräische Name Hiskia bedeutet „mächtiger Gott“.
HaDavars Antwort:
Eine Umschreibung dieses Arguments würde lauten:
- Die Zeit wurde in die Zukunft abgeändert, so daß der Vers nach vorn blickt auf Jesus, was nicht richtig ist.
- Stattdessen blickt der Vers zurück in die Vergangenheit auf die Geburt des Königs Hiskia und bedeutet sonst weiter nichts.
- Das wird bestätigt durch den Namen Hiskias.
- Hiskia war der Messias oder eine messianische Person.
Wir wollen den vierten Punkt prüfen und gehen dabei zurück nach Punkt eins. Daß Hiskia die messianische Person war oder eine messianische Person ist, scheint die Folgerung dieses Einwands zu sein. Mit anderen Worten; die Aussage kann nicht Jesus betreffen, weil sie bereits in Erfüllung gegangen ist. Der Anti-Missionar möchte uns wahrscheinlich auf den rabbinischen Glauben aufmerksam machen, daß in jedem Zeitalter jemand lebt, der ein möglicher Messias sein kann. Darum war Hiskia die messianiche Person, die in Jes. 9,5 gemeint ist. Er war der Messias seiner Zeit. Das ist aus mehreren Gründen keine sehr starke Position. Wir wollen zuerst einige Fragen stellen:
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Gibt es irgendeine Stelle in der Schrift, die lehrt, es gäbe mehrere Messiasse oder in jeder Gegenration einen möglichen Messias? Ist der Ursprung dieses Glaubens fest in der hebräischen Bibel begründet? Die Antwoert auf beide Fragen lautet „Nein!“ Der Gedanke an mehrere Messiasse oder mögliche Messiasse in jeder Generation kommt in der hebräischen Bibel nicht vor. Diese Lehre ist eine rabbinische Tradition. Trotzdem stimmen wir den Rabbinern zu, daß Jes. 9,5 messianisch ist.
- Jes. 9,5 im Targum Jonathan zu den Propheten:
- Babylonischer Talmud, Traktat Derech Erez Zuta:
- Midrasch Rabba, Debarim 1:
- Iggereth Teman (Rabbi Moses ben Maimon schreibt an Jakob Alfajumi):
- Aben Ezra:
- Targum Jesaja:
„Der Prophet kündigte dem Hause Davids an ‚ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, der die Tora auf sich genommen hat, um sie zu bewahren; und sein Name wurde genannt von dem, der wunderbaren Rat gibt, dem mächtigen Gott, der in Ewigkeit lebt: „Messias“, in dessen Tagen überströmender Frieden für uns sein wird. Er wird die Würde derer groß machen, die in der Tora studieren, und derer, die Frieden bewahren, ohne Ende; auf dem Thron Davids und über sein Königreich, um es aufzurichten und zu erbauen in Recht und Gerechtigkeit, von da an für ewige Zeiten. Das wird bewirkt werden durch den Memra des Herrn der Heerscharen.“[1]
„Rabbi Hose der Galiläer sagte: Der Name des Messias heißt auch Frieden, denn es steht geschrieben (Jes. 9,5): ‚Ewiger Vater, Friedefürst‘.“[2]
„Die Rabbinen legen folgende Worte in den Mund des Patriarchen Jakob: ‚Ich muß noch den König Messias hervorbringen, wie geschrieben steht: Uns ist ein Kind geboren‘.“[3]
„Gott benannte ihn (den Messias) mit sechs Namen, wie er ihn betreffend sagt: ‚Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben; und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunderbar, Ratgeber, Gott, Mächtiger, Ewiger Vater, Fürst des Friedens.‘ So nannte ihn Gott auf unterschiedliche Weise, um damit zu sagen, daß seine Herrlichkeit die aller anderen Menschenkinder übertrifft“[4]
„Es gibt einige Ausleger, die sagen, ,Wunderbar, Ewig-Vater‘ sind Namen Gottes und nur ‚Friede-Fürst‘ ist der Name des Kindes. Aber meines Erachtens ist die Auslegung richtig (,die sagt): Das alles sind Namen des Kindes.“[5]
„Der Prophet sagt zum Hause Davids, ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben; und er hat das Gesetz auf sich genommen, um es zu halten, und von alter Zeit ist sein Name genannt ‚Wunderbarer Ratgeber, Mächtiger Gott, Er, der ewig lebt, der Gesalbte (oder Messias), zu dessen Zeit zunehmend Frieden auf uns kommen wird.“[6]
Fest steht, daß die Schriftstelle vom Messias handelt, aber es wird nur einen Messias geben, nicht eine ganze Menge. Es wird nur einen geben, und nur einer wird den Anforderungen an den Messias entsprechen.
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Hiskia ist ein schlechter Kanditat für den Messias, und es gibt noch mehr, die das ebenso sehen. Rabbi Josephs Diskussion mit Rabbi Hillel wird berichtet im Talmud, Sanhedrin 99a:
„Rabbi Hillel sagte, ‚Es gibt keinen Messias für Israel, denn sie haben sich an ihm bereits in den Tagen Hiskias erfreut.‘ Rabbi Joseph sagte, ‚Möge Gott ihm vergeben (weil er das gesagt hat)‘.“
Rabbi Joseph verneinte diese Meinung also energisch.
- Hiskias Name bedeutet nicht „der mächtige Gott“. Diese Behauptung ist ein bißchen dehnbar. Der Name in Jes 9,5 ist „El Gibbor“ (Substantiv maskulin singular mit Adjektiv maskulin singular). El Gibbor meint buchstäblich „mächtiger Gott“. Der Name Hiskia meint buchstäblich „Gott ist meine Stärke“ oder „Gott hat stark gemacht“. Es ist eine Kombination des Verbs chasaq mit Gottes eigenem Namen. Wesentlich ist, daß „Der mächtige Gott“ ein ausgeprägter Eigenname ist, der ohne Frage einen besonderen, persönlichen Gott identifiziert und beschreibt. Demgegenüber ist „Hiskia“ ein Name, der eine Persönlichkeit beschreiben soll. Er soll angeben, was Gott für denjenigen getan hat, der diesen Namen trägt. Mit anderen Worten, Gottes Handlungen werden gerühmt durch den Namen des Königs. Der Name Hiskia lenkt unsere Aufmerksamkeit auf das, was Gott getan hat oder noch tun wird oder tun soll, um die Person mächtig zu machen. Hiskias Name meint nicht „mächtiger Gott“ der Form oder der Bedeutung nach.
Schließlich kommen wir zu dem Einwand, daß die Aussagen alle die Vergangenheit betreffen
und deshalb von Hiskia reden. Das ist eine wichtige exegetische und interpretative Entscheidung. Die Verben in Jes. 9,5 sind ein Gemisch aus Perfekt und Imperfekt. Die Perfekte stehen in der ersten Hälfte des Verses, die Imperfekte in der zweiten. Die Perfektform bezeichnet eine vollendete Handlung in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. Das Imperfekt gibt eine unvollendete oder wiederholte Handlung an, ebenfalls in Vergangen-heit, Gegenwart oder Zukunft. Die Mischung beider Zeitformen bedeutet, daß sich nicht einfach entscheiden läßt, was gemeint ist. Wir müssen uns darüber den Kopf zerbechen. Wir haben darüber gründlich nachzudenken. Dabei gibt es mehrere Möglichkeiten, für die wir uns entscheiden müssen.
Der Anti-Missionar hat sich für die Vergangenheits- oder Gegenwarts-Option entschieden. Daraus folgert er, daß Hiskia der Messias ist oder war. Er hat dabei für die Übersetzung denselben Typ gewählt, der auch in den Bibelübersetzungen angewandt wird, nämlich daß man aufgrund einer exegetischen Entscheidung eine bestimmte Zeit wählt, ob das nun Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft sein mag. Die Wahl des Anti-Missionars ist die schlechtere Wahl aus dreierlei Gründen:
- Im Hinblick auf den Textzusammenhang spricht Jes. 9,5 von einer Befreiung und Herrschaft, die sich in Hiskias Zeiten niemals ereignete. Assyrien verwüstete Galiläa in der Zeit Hiskias, beherrschte es und deportierte seine Einwohner. Die Befreiung Galiläas erfolgte nicht durch Hiskia. Auch die Regierung Hiskias entsprach nicht den Erwartungen, wie sie unser Text beschreibt. Hiskias Regierung befreite Galiläa nicht und war auch nicht für Recht und Gerechtigkeit bekannt. Seine Herrschaft dauerte nicht ewig. Jes. 9,1-7 kann nicht auf Hiskia bezogen werden, wie gut er auch als König war.
- Die Meinung des Anti-Missionars ist die schwächere Wahl, wenn wir bedenken, wie die Sendung der messianischen Person in anderen Schriftabschnitten geschildert wird. Vom Messias wird erwartet, daß er Israel von seinen Feinden errettet und das herrliche messianische Königreich aufrichtet. Keines dieser Ziele wurde von Hiskia erreicht.
- Die anti-missionarische Position ist noch schwächer, wenn wir die Erkenntnisse berücksichtigen, die wir zuvor im Abschnitt über Micha 5,2 gewonnen haben.
Wir haben aber noch eine weitere Möglichkeit, den Tetx zu verstehen, und das ist die Zukunfts-Option. Im Falle der Perfekt-Form wäre das der Gebrauch des sogenannten „prophetischen Perfekts“. Das prophetische Perfekt tritt auf, wenn der Prophet eine Handlung in der Zukunft so lebendig sieht, daß sie ihm „so gut wie geschehen“ vorkommt.[7] Der Gebrauch des prophetischen Perfekts in der ersten Hälfte des Verses (ein Kind ist geboren, ein Sohn ist gegeben) paßt zum Imperfekt in der zweiten Hälfte des Verses (Herrschaft soll sein auf seiner Schulter, er heißt … ).
Wenn wir den Zusammenhang und das Gewicht von Jes. 9,1-7 berücksichtigen, wenn wir weitere Angaben der Bibel über die messianische Person und die Aussagen des Neuen Testaments mit dem vergleichen, was wir über Hiskia wissen, dann müssen wir die Futur-Option vorziehen. Dazu paßt Jesus sehr gut. Er ist eine viel bessere Wahl als Hiskia (700 v.Chr.), Bar Kochba (135 n.Chr.) oder Rebbe Schneerson (1994 n.Chr.). Wenn Jesus nicht der Messias ist, wer ist es dann?
Jesus ist der:
- Wunderbare Ratgeber – Kol. 2,3
- Mächtige Gott – Hebr. 1,8
- Ewige Vater – Joh. 1,1-2
- Fürst des Friedens – Joh. 14,27
„in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.“
„aber von dem Sohn (sagt er): Gott, dein Thron währt von Ewigkeit zu Ewigkeit, und das Zepter der Gerechtigkeit ist das Zepter deines Reiches“ (Zitat aus Psalm 45).
„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott.“
„Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“
Die Jewish Publication Society (JPS) übersetzt den Vers auch mit „Kind ist geboren“ und „Sohn ist gegeben“. So stimmen die jüdische und die christliche Übersetzung bei der ersten Hälfte des Verses überein. Darum sagen sie konsequenterweise auch „die Herrschaft ist“ und „er heißt“, also im Präsens. Diese Übersetzung würde den Anti-Missionaren wider-sprechen und sie der „Textmanipulation“ beschuldigen. Aber das ist gar nicht nötig. Die Übersetzer haben eine vernünftige und konsequente Arbeit geleistet. Sie stimmen nicht HaDavars Bewertung des Textes zu. Ihre Übersetzung ist fair, aber von unserem Standpunkt aus eine bedauerliche, Auslegung enthaltende Wiedergabe.
- ^ Huckel, T. (1998). The Rabbinic Messiah (Is 9:6). Philadelphia: Hananeel House.
- ^ “How to Recognise the Messiah” Pg. 11
- ^ Ibid
- ^ “How to Recognise the Messiah” Pg. 24
- ^ Ibid
- ^ McDowell, Josh, Evidence that Demands a Verdict, (San Bernardino, CA: Here’s Life Publishers) 1972, pg. 151
- ^ Williams, Ronald J., Hebrew Syntax: An Outline, Second Edition, (Toronto: University of Toronto Press) 1967