Jesaja 7,14

Der Vorwurf der Anti-Missionare:

Der jüdische Tanach, der die Zeitform der Gegenwart verwendet, sagt:

„Darum wird der Herr dir von sich aus ein Zeichen geben; siehe, die junge Frau (alma) bekommt ein Kind, und sie wird einen Sohn gebären und dessen Namen Immanuel nennen.“

Die griechische Septuaginta veränderte das hebräische Wort alma für eine junge Frau in Jungfrau und brachte es in die Zeitform der Zukunft. Diese zwei Änderungen geben der Prophezeiung eine christliche Richtung. So sagt Matthäus 1,(22-)23:

„Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben.“

HaDavars Antwort:

Dieser Anti-Missionar hat völlig recht.

Das Zeichen, das Israel verheißen wurde, enthält die Wendung „die junge Frau / Jungfrau bekommt ein Kind“. Im hebräischen Original ist die Verheißung an Israel in der Gegenwart gegeben. Der Tanach in seiner englischen Version übersetzt das Hebräische richtig „sie bekommt ein Kind“. Aber das Zeichen ist noch nicht gegeben worden. Das Geben des Zeichens erfolgt erst in der Zukunft. Das Zeichen „junge Frau / Jungfrau bekommt ein Kind“ wird erst irgendwann in der Zukunft eintreffen. Dieses Zeichen wird nicht erscheinen, bis einige Zeit nach dem Gespräch Jesajas mit König Ahas vergangen ist.

Beginnen müssen wir unsere Analyse des Zeichens vor der Redewendung „bekommt ein Kind“, nämlich bei „wird dir ein Zeichen geben“. Das Verb, das mit „wird geben“ übersetzt ist, steht im Hebräischen im Imperfekt. Das Imperfekt beschreibt eine unvollendete Handlung. Verse mit Imperfekt werden zu Recht so übersetzt, als ob die Ereignisse erst in der Zukunft vollendet werden. Die Übersetzer der Septuaginta trafen eine richtige Entscheidung und übersetzten das Verb in der griechischen Bibel im Futur. Diese Übersetzung ist angemessen, denn das Zeichen ist für die Zukunft verheißen, grammatisch und nach dem Zusammenhang. Die jüdischen Übersetzer benützen einfach einen Targum, eine erklärende Übersetzung. Mit dem Zeitrahmen für das bestimmte Zeichen müssen wir jetzt das Zeichen selbst analysieren.

Was ist nun das Zeichen? Lassen Sie uns anfangen mit dem hebräischen bestimmten Artikel. Genau der wird in unserem Text verwendet. Da steht also „die Jungfrau“ und nicht „eine Jungfrau“ wie in der deutschen Lutherbibel. Das zeigt an, daß eine bestimmte Jungfrau gemeint ist. „Die Jungfrau“ ist schwanger. Aber noch mehr, sie gebiert einen Sohn und nennt ihn „Gott mit uns“. Jawohl, Jesaja schreibt das Wort „gebären“ selbst in der Gegenwart. Diese Geburt findet in der Gegenwart statt. Jesaja kann das so schreiben, weil er die Geburt vom Standpunkt eines Propheten sieht, unabhängig von Raum und Zeit. Er sieht die wirkliche Geburt so, wie sie in der Zukunft geschehen wird. Es ist zweifelhaft, ob er zu diesem Zeitpunkt die Geburt des Kindes in seiner Gegenwart sah. Falls das so war, dann muß er sie unter freien Himmel, an einem öffentlichen Ort, gesehen haben. Dann sah er diese Geburt „am Ende der Wasserleitung des oberen Teiches, an der Straße beim Acker des Walkers“ (Jes. 7,3). Auch Ahas und sein Gefolge müssen nach Jes. 7,3 dabei gewesen und zugesehen haben. Der Textzusammenhang beschreibt eine Art von öffentlicher Szene. Vielleicht hat Ahas die Wasserversorgung Jerusalems inspiziert während der Vorbereitung auf den nächsten Konflikt mit Aram und Israel (Jes. 7,1-2). Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß eine Frau in dieser Situation ein Kind zur Welt gebracht hätte.

Wie erkären wir uns das Wort? Ich denke, die Erklärung liegt darin, daß Jesaja ein zukünftiges Ereignis vor seinem „geistigen Auge“ sah. Er kann es sehen, wie es in der Zukunft geschieht, weil er als Prophet die Fähigkeit dazu hat. Zusätzlich muß diese Geburt ein „Zeichen“ sein. Der Wort „Zeichen“ bezieht sich entweder auf das ungewöhnliche Ereignis selbst, oder es deutet irgenwie auf ein solches Ereignis. Es kann rückwärts deuten auf ein historisches Ereignis wie beispielsweise die Steine im Jordan (Jos. 4,5-6). Ein Zeichen kann auch nach vorn deuten auf eine Verheißung wie z.B. auf die dornenlose, zukünftige Welt (Jes. 55,13).[1]

Der Text will klar machen, daß diese Geburt ungewöhnlich sein muß. Sie muß sich als ein Zeichen erkennen lassen. Ein Mädchen, das keine Jungfrau ist, eine junge Frau, die ein Kind gebiert, ist kein ungewöhnliches Ereignis. Das geschieht jeden Tag. Das ist bei meiner Tochter bereits viermal geschehen. Es bezieht sich nicht auf eine junge Frau, die an einem öffentlichen Ort ein Kind zur Welt bringt. Dieses Zeichen ist eine Jungfrau, die ein Kind gebiert. Der physische Zustand der Frau ist das Zeichen, und nicht der Ort der Geburt. Der physische Ort wird in Micha 5,1 erwähnt, nämlich Behtlehem, aber darum geht es hier nicht. Eine Frau, die Jungfrau ist und ein Kind zur Welt bringt, ist ein Zeichen. Das passiert nicht alle Tage.

Die Anti-Missionare behaupten, die Septuaginta habe den Text verfälscht, indem sie das Präsens ins Futur, also die Gegenwart in die Zukunft abänderte. Ich habe bereits gezeigt, daß die Gelehrten, die Jes. 7,14 ins Griechische übersetzten, dafür eine zulässige Entscheidung trafen. Wenn das Fälschung war, dann wurde sie von den jüdischen Rabbinen begangen. Die Septuaginta gab es lange, bevor Jesus erschien. Diese Übersetzung stammt etwa aus den Jahren 285 – 244 vor Christus. Zu dieser Zeit war keine „christliche Beeinflussung“ möglich. Die jüdischen Gelehrten, die Septuaginta übersetzten, verstanden den Text so, daß er von der Zukunft und von einer Jungfrau spricht. Entsprechend ihrem Verständnis des hebräischen Textes übersetzten sie ihn. Sie übersezten ihn nicht in Übereinstimmung mit einem nirgends existierenden „christlichen“ Verständnis. Außerdem brauchen wir nicht die Septuaginta, um zu erkennen, daß das hebräische Wort alma eine Jungfrau meint. Eine Wortstudie von alma genügt dazu.

Im biblischen Hebräisch bedeutet alma ausschließlich eine Jungfrau, ohne daß dafür eine erkärende Information nötig wäre. Die Septuaginta unterstützt lediglich diese Schluß-folgerung. Noch einmal, Matthäus benützt einfach die jüdischen Textquellen, die ihm im ersten Jahrhundert n.Chr. zur Verfügung standen. Wenn er den Text und sein Erleben mit Jesus vergleicht, dann sieht er eine buchstäbliche Prophetie, wie sie Jesaja äußerte, und eine buchstäbliche Erfüllung im Leben Jesu. Dieses Verständnis gibt er dann an den Leser weiter. Der Leser kann selbst entscheiden, ob Matthäus das richtig sieht oder nicht.

Lassen Siemich die Diskussion schließen mit einer weiteren, faszinierenden jüdischen Über-lieferung. Einfach ausgedrückt, es gibt in der jüdischen Gemeinschaft eine Tradition, daß der Messias keinen Vater haben wird. Diese Überlieferung wird angeführt in dem Buch „The Suffering Servant of Isaiah According to the Jewish Interpreters“ [„Der leidende Knecht des Jesaja nach den jüdischen Auslegern“] (Driver & Neubauer, S. 33):

Bereschit Rabba des R. Mosche HaDarschan:

 

R. Berechja sagt: Der Heilige sagte zu Israel, du hast vor mir gesprochen und gesagt, wir sind Waisen und haben keinen Vater … Der Erlöser, den ich aus deiner Mitte aufstehen lassen werde, wird auch keinen Vater haben, wie gesagt ist: „Siehe, der Mann, dessen Name ‚Sproß‘ ist, und er wird von seinem Ort hervorsprossen“ (Sach. 6,12); und ähnlich bei Jesaja „Er schoß auf vor ihm wie ein Reis“ (Jes. 53,2).

Hier gebraucht Rabbi Mosche HaDarschan die Prophezeiungen in Sach. 6,12 und Jes. 53,2, um die Tatsache zu untermauern, daß der Messias keinen Vater haben werde. Diese jüdische Überlieferung stimmt völlig überein mit Jes. 7,14, wo ausgesagt wird, der Messias werde empfangen im Leib einer Jungfrau. Der Messias wird keinen menschlichen Vater haben. Das ist genau der Fall bei Jeschua. Er wurde vom Heiligen Geist empfangen im Leibe der Maria. Sein Vater war Gott, nicht Joseph. Jesus ist der Sohn Gottes und unser Messias.

Das bringt uns zu einem damit verwandten Einwand. Dafür lassen Sie uns weitergehen zu unserem nächsten Abschnitt, einer Diskussion des Wortes „Jungfrau“ aus demselben Vers.

  1. ^ Harris, R. Laird, Theological Wordbook of the Old Testament, (Chicago: Moody Press, 1999, c1980), p.19